November 19, 2022

wm in katar - was wenn die größte tribüne der welt leer bleibt? über die macht der konsument:innen

Von Benedikt Korkmaz
wm in katar - was wenn die größte tribüne der welt leer bleibt? über die macht der konsument:innen

mai 2017 – die letzte aktualisierung der menschenrechtssatzung der fifa.

"die fifa hat sich verpflichtet, alle international anerkannten menschenrechte zu respektieren und sich für den schutz dieser rechte einzusetzen.“

als kleiner einschub: zu international anerkannten menschenrechten gehören unter anderem ‚die freiheit von diskriminierung‘ und ‚das recht zu gleichheit zwischen mann und frau‘. darüber hinaus führt die fifa außerdem an:

"artikel 4 der fifa-statuten verbietet jede art von diskriminierung eines landes, einer privatperson oder einer personengruppe aufgrund der rasse, der hautfarbe, der ethnischen, nationalen oder sozialen herkunft, des geschlechts, einer behinderung, der sprache, der religion, der politischen oder sonstigen anschauung, des vermögens, der geburt oder eines anderen status, der sexuellen ausrichtung oder eines anderen grundes."

während wir am 18.11.2022 diese werte in der „social impact“ rubrik der fifa nachlesen, schauen wir auf folgende news zurück:

  • wm-botschafter khalid salman redet im live-tv davon, dass homosexualität eine sünde sei. darüber hinaus bezeichnet er homosexualität als „geistigen schaden“
  • die fifa verbietet „human rights for all“ auf trikots
  • katar listet 3 tote durch arbeitsunfälle auf wm-baustellen, amnesty international geht von 15.000 ausländischen arbeiter:innen aus, die zwischen 2010 und 2019 ums leben gekommen sind. die arbeitsbedingungen sind dabei nicht nur ausbeuterisch, sondern auch lebensbedrohlich.

wir sprechen von nichts anderem als korruption, diskriminierung und ausbeutung – in 2022!
verantwortet von einer institution, die sich laut eigenen angaben dafür einsetzt, dass genau das nicht passiert.

und diese drei, sehr prägnanten beispiele sind nur ein teil von dem, was in katar lange ignoriert wurde und trotzdem realität ist. traurig ist, dass wir das nicht erst seit gestern wissen, aber zu lange weggesehen haben und uns auf andere verlassen haben.

getan hat sich seit der vergabe 2010 gefühlt nichts. und an dieser stelle wollen wir gar nicht die moralkeule schwingen und einen schuldigen aus allen beteiligten, teilnehmenden und mitarbeitenden suchen. die politik, die medien, länder, verbände und spieler stehen in einem gegenseitigen abhängigkeitsverhältnis, dass nur schwer auf einzelne zu reduzieren ist. natürlich wäre es wünschenswert, wenn auch nur eine mannschaft die teilnahme verweigert, oder einzelne spieler freiwillig auf die teilnahme verzichten. aber wir können nicht beurteilen, welcher drucksituation diese von stakeholdern ausgesetzt sind. viele individuen haben letztlich auch schon ihr ganzes leben auf diesen sportlichen höhepunkt hingearbeitet und das ist die wm im kern wohl auch noch (mehr dazu gleich).

die fifa als inszenierende partei ist aber hingegen sehr wohl zur verantwortung zu ziehen und es ist auch höchste zeit dafür. in den vergangenen jahren hat sich die fifa mehrere entgleisungen erlaubt, die (oft) politisch geprägt waren und mehr als einmal hat sich gezeigt, dass alle predigt über deren ‚social impact‘ leere hülsen für die breite masse sind und nicht ehrlich gelebt und verteidigt werden.

aber welchen hebel gibt es denn jetzt überhaupt noch?   

dafür müssen wir uns eine wahrheit schamlos vor augen führen:
diese wm ist einfach mehr als nur ein sportereignis.
so ein einflussreiches event mit durchschnittlich 3 milliarden zuschauern besitzt die stahlkraft

  • eine neue ära der menschenrechtsbewegung zu prägen,
  • die macht der konsumenten zu unterstreichen
  • die besorgniserregende entwicklung des kapitalismus zu bremsen.

und auch hier wollen wir nicht moralisieren. aber es geht sehr wohl darum, zu verstehen dass wir mit der entscheidung die wm nicht zu unterstützen, nicht allein sind. wir müssen uns vergegenwärtigen, dass nicht eine einzelne person die wm nicht ansehen wird, sondern ganze generationen den wm-hype verweigern werden und – ganz ehrlich – auch sollten. 

dieses event spricht gegen alle moralischen und ethischen grundsätze unserer gesellschaft. drei zentrale punkte stehen für uns im vordergrund, wenn das event unterstützt wird: 

  • menschenrechte scheinen eine untergeordnete rolle zum kurzweiligen vergnügen zu spielen und unternehmen können frei walten
  • der kapitalismus ist größer als unsere werte der antidiskriminierung, gleichstellung zwischen mann und frau, und nachhaltigkeit.
  • dass wir für unsere werte nur so lange einstehen, bis wir ‚gezwungen‘ sind uns für profit systemen unterzuordnen, die gegen alles stehen, was uns etwas bedeutet.

lasst uns noch einmal zusammenfassen: die wm-vergabe nach katar war ein fehler. und die fifa ist eine scheinheilige institution, die sich schon seit jahren fehltritt nach fehltritt erlaubt und alles was uns jetzt noch bleibt, ist selbst für unsere werte einzustehen.

denn alles, was jetzt noch etwas an dieser entwicklung ändern kann, ist die aussicht darauf, dass wir zuschauer:innen uns dazu entschließen, nicht zu kommen. profitorientierte systeme lassen sich nur durch einen rückgang der zahlen beeinflussen. und niemand an der spitze des systems will einnahmen und zuschauer:innen oder einschaltquoten verlieren. der fußball als institution und sport ist groß, aber er ist nicht größer als menschenrechte, nicht größer als anti-diskriminierung, nicht größer als die gesellschaft.
sehen wir nun wieder unbekümmert zu, wird sich auch in zukunft nichts verändern. aber wenn wir wegschauen, wird die reaktion größer als alles, was eine mannschaft jemals als statement auf dem feld liefern könnte.

und weltmeister ist dann die gesellschaft.

einen kommentar hinterlassen