August 26, 2022

DIE GESCHICHTE HINTER AWARENESS

Von Benedikt Korkmaz
DIE GESCHICHTE HINTER AWARENESS

zu vivian

ich bin vivi, 25 jahre alt und auch nach 10 Jahren krankheit und einem abgeschlossenen medienmanagement studium noch dabei herauszufinden, wie man karriere, chronische erkrankung, sozialleben und eine aufgeräumte wohnung miteinander vereinbaren kann.

mein organisationstalent habe ich mittlerweile zum beruf gemacht und arbeite im bereich film- und fernsehproduktion, wenn ich nicht gerade mit einer kamera vorm gesicht alles einfange was die welt zu bieten hat.

bei einfachmensch möchte ich vor allem über das thema invisible disability awareness (unsichtbare krankheiten sichtbar machen) und der daraus folgenden diskriminierung (ableismus) sprechen. natürlich kann ich dabei aber nur von meinen persönlichen erfahrungen und berührungspunkten sprechen. 

warum liegt dir das thema am herzen, vivi? 

"offensichtlich falle ich nicht in dieses raster – oder eben diese box – was dazu führt, dass ich mich immer dafür rechtfertigen muss warum ich etwas kann oder eben nicht."

als chronisch kranke person, deren erkrankung bzw. behinderung nicht auf den ersten blick von außen sichtbar ist, werde ich immer in die box „gesunde junge frau“ gesteckt. finden leute dann heraus, dass ich eine behinderung habe steht die verwirrung oftmals schnell ins gesicht geschrieben. dann fällt meistens auch direkt der satz „du siehst aber gar nicht krank aus“, gefolgt von meist nicht so gemeinten aber dennoch sehr übergriffigen fragen. 

diese reaktionen suggerieren immer, dass behinderung oder chronische erkrankung immer mit einem bestimmten „look“ einhergeht. offensichtlich falle ich nicht in dieses raster – oder eben diese box – was dazu führt, dass ich mich immer dafür rechtfertigen muss warum ich etwas kann oder eben nicht.

dieses schubladendenken tritt aber auch auf, wenn ich dann erwähne, dass ich beispielsweise berufliche ambitionen habe. dann wird immer gefragt, wie ich das denn machen will. als ob das Leben aufhört, sobald man eine erkrankung hat. natürlich geht mein leben mit einschränkungen, wie in meinem fall beispielsweise verringerten arbeitszeiten, einher. aber das heißt nicht, dass ich nicht versuche, aus den möglichkeiten die ich habe, das bestmögliche herauszuholen. mir ist bewusst, dass es auch viele menschen gibt, denen diese möglichkeit aufgrund ihres gesundheitszustandes nicht mehr geboten ist, aber auch dann liegt es oftmals eben genau daran und nicht an einem mangel an motivation oder ambition. 

seit wann beschäftigt dich das thema diskriminierung? 

so richtig auseinandergesetzt damit, dass es auch diese form der diskriminierung gibt (und vor allem in welchem ausmaß) habe ich mich als ich selbst meine ersten konkreten diskriminierungserfahrungen aufgrund meiner erkrankung machen musste. das ist nun 4 jahre her.

was möchtest du mit anderen teilen? auf was möchtest du hinweisen?

"eine behinderung hat keinen look."
  1. chronisch krank zu sein/eine behinderung haben ist keine wahl und nichts woran ich als selbst betroffene etwas ändern kann. das macht mich und mein leben nicht weniger wert oder normal auch wenn ich manche dinge gar nicht oder nur auf anderen wegen machen kann. hört bitte auf zu mir zu sagen „ich könnte das nicht“. niemand kann etwas für seine körperlichen gegebenheiten. 

  2. eine behinderung hat keinen „look“.

  3. „behinderung/behindert“ ist keine beschreibung dafür, dass etwas schlecht ist oder nicht funktioniert, deshalb hört bitte auf es so zu verwenden. 

  4. eine behinderung zu haben heißt nicht automatisch, dass man unzuverlässig ist.

      du hast auch schon das thema übergriffige fragen angesprochen. was kannst du anderen in diesem bereich mitgeben? auf was sollten andere achten und was ist für dich übergriffig?

      ob eine aussage oder frage übergriffig ist, hängt finde ich immer stark vom kontext ab. 

      so empfinde ich beispielsweise die frage danach, welche erkrankung ich denn habe, von einer nahestehenden vertrauensperson in der regel nicht als unangenehm. aber die gleiche frage von einem direkten vorgesetzten im beruflichen umfeld sehe ich als klare grenzüberschreitung. der grund dafür ist unter anderem, dass die details über meine erkrankung in einer privaten beziehung oft eine rolle spielen. in einem kontext in dem es aber keine rolle spielt, was ich habe, oder wie ich damit umgehe empfinde ich es als übergriffig, denn die frage kommt von einer art „sensationsgeilheit“.

      fragen und aussagen die, meiner meinung nach, aber immer übergriffig sein werden sind unqualifizierte medizinische ratschläge, wie

      • „hast du es schonmal mit magnesium probiert? das hilft mir immer bei muskelschmerzen“, 
      • fragen die einen zur rechtfertigung oder in erklärungsnot drängen, wie etwa „aha was hast du denn dann genau? wie kannst du dir so sicher sein, dass es sich nicht um eine psychosomatische erkrankung handelt? du siehst doch ganz gesund aus?“.
      • oder die für mich übergriffigste aussage "also ich könnte das ja nicht."

      was viele menschen in diesem kontext nicht realisieren ist nämlich, dass diese aussage im kern ausdrückt, dass mein leben weniger wert wäre. es hat mich aber ja niemand gefragt ob ich das können will, sondern ich bin einfach krank geworden und musste zwangsweise einen weg finden, damit umzugehen.

      warum willst du hier ein zeichen setzen?

      "für mich ist es absolut normal mit meiner erkrankung zu leben und ich möchte nicht die einschränkenden teile meines lebens verstecken müssen, nur weil sie eben nicht perfekt sind."

      ich möchte mich dafür einsetzen, dass das leben mit behinderung oder chronischer erkrankung normalisiert und nicht weiter als etwas „besonderes“ gesehen wird. jeder mensch hat einen anspruch darauf mit dem gleichen respekt und wert behandelt zu werden, unabhängig von den körperlichen gegebenheiten. ich selbst versuche so gut wie möglich alle seiten und phasen meines lebens innerhalb meines umfelds transparent zu halten und offener darüber sprechen.

      für mich ist es absolut normal mit meiner erkrankung zu leben und ich möchte nicht die einschränkenden teile meines lebens verstecken müssen, nur weil sie eben nicht perfekt sind.

      wie kann aus deiner sicht jede:r einen kleinen beitrag leisten?

      fangt in eurem umfeld an und hört betroffenen zu, wenn sie von ihren erfahrungen erzählen. informiert euch über ableismus und alltagsdiskriminierung und seid allys, das heißt versucht, events oder verabredungen zugänglich zu gestalten. hinterfragt euren eigenen ableismus und warum ihr manche sachen als „nicht normal“ anseht und lernt dazu.

      und ganz wichtig: nehmt es nicht persönlich oder seid enttäuscht, wenn wir aus gesundheitlichen gründen oder arztterminen spontan etwas absagen müssen. das ist keine freiwillige entscheidung, sondern eine die von unserem körper vorgeschrieben wird. 

      und zum thema übergriffigkeit:  

      wenn man wirklich ehrliches interesse daran hat, eine person mit all ihren facetten kennenzulernen dann gehört die behinderung als facette bei mir als person natürlich auch dazu. aber nachdem es nun mal nicht etwas ist, das ich selber geleistet oder mir ausgesucht habe, mag ich es immer nicht wenn es als das „exotische“ oder „spannende“ merkmal, wahrgenommen wird. dadurch rücken für mich alle anderen persönlichkeitsmerkmale gefühlt eher in den hintergrund.

      wenn ich nach rat gefragt werde, rate ich immer dazu, der betroffenen person einfach den raum zu geben, sich zu öffnen wenn sie sich wohl damit fühlt. auch wenn man neugierig ist. dabei hat jede person ein anderes tempo, das aber auch von der situation und der tagesform abhängig ist. wenn das thema dann mal zur sprache kommen sollte, sind sätze wie „wenn es etwas gibt was du mir erzählen oder worüber du reden möchtest, dann höre ich dir gerne zu, aber wenn du nicht darüber sprechen möchtest ist das auch vollkommen in ordnung“ für mich persönlich immer hilfreich.

      und wenn das bedürfnis besteht, tatsächlich mal eine konkrete frage zu stellen spielt konsens für mich immer eine große rolle: durch ein kurzes nachfragen „hey, wäre es okay wenn ich dir kurz eine frage zu xy stelle?“ fühle ich mich nicht in die ecke gedrängt und kann selbst entscheiden, ob ich gerade darüber sprechen möchte oder nicht.  

      welche organisation unterstützt dein design? 

      wir suchen gerade noch nach einer passenden organisation, die meine message vertritt und nicht ableistisch ist. ich lege sehr viel wert darauf, dass die organisation oder das projekt, an das gespendet wird, sich für die aufklärung über sichtbare und unsichtbare krankheiten einsetzt.

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